Sich vom Motiv lösen
Als ich anfing mit der Kunst hat meine Schwiegermutter mir einen Tipp gegeben, den ich damals nicht wirklich verstanden habe: „Tom, Du musst Dich vom Motiv lösen.“
Heute bin ich ihr sehr dankbar dafür, weil der Hinweis einem gerade beim Zeichnen nicht nur die Arbeit wesentlich erleichtert sondern auch zu wirklich besseren Ergebnissen führt.
Ich habe als Beispiel mal unsere kleine Bronzeskulptur Stine gewählt, die ja mit ihren geschwungenen Formen und den vielen Reflektionen auf dem Körper gerade zum Zeichnen einlädt.
Zwei Tipps kann ich hier geben.

Tipp 1: Malen nach Zahlen
Allein um die Formen zu erfassen, ist es hilfreich, sich den groben Umriss wie eine Vielzahl von geraden Linien vorzustellen, die jeweils eine Uhrzeit angeben. So zeigt der obere Teil des Kopfes auf 08:00 Uhr, der nach unten fallende Zopf auf sechs Uhr und der über dem Busen liegende Teil des Zopfes auf 05:00 Uhr. Winkel als Zeigerstellungen einer Uhr kann man sich relativ leicht vorstellen. Konsequent umgesetzt, entstehen so die Umrisse der Figur als eine Vielzahl von Geraden, die sich dann leicht abrunden und glätten lassen.
Tipp 2: Aus den Flächen entsteht die Form
Wenn es denn um die Farbigkeit geht, macht es Sinn, die Figur in einzelne Farbflächen aufzuteilen. Man erkennt schnell nicht nur gleiche Tonwerte, sondern findet auch die hellsten und die dunkelsten Stellen. Man hat damit auch einen Überblick über den gesamten Tonwertumfang fürs Mischen und erkennt gleiche Farbbereiche, was das Mischen auch deutlich vereinfacht. Am Ende müssen die einzelnen Flächen dann nur noch miteinander „verschlichtet“ werden, um harte Kanten zu vermeiden.
Zugegeben, das Ganze braucht ein wenig Übung, führt aber dazu, dass man beginnt Motive – selbst die schwierigsten einfacher zu sehen. Wenn man sich vom Motiv löst, geht es am Ende – vereinfacht gesagt – nur noch um Winkel und Flächen. Der größte Vorteil ist aber, dass man die Angst vor dem Motiv verliert.